Wenn Beschuss zum Alltag wird
Es ist August, 2024. Der Wind weht warm, am Nachmittag ist die Luft nicht mehr so stickig wie in den heißen Sommerstunden am Morgen. Der Blick aus dem Autofenster zeigt eine mir vertraut gewordene Landschaft: Felder, Hügel, Berge und vor uns der Libanon. Unzählige Male streckt Alon seine Hand nach vorne, sagt: Das ist der Libanon. Das ist sehr gefährlich. Lass uns schneller fahren. Wir rasen über die autoleeren Straßen, die sengende Hitze macht den Asphalt feuerheiß. Kein Mensch, kein Auto. Links und rechts von uns sind die Felder schwarz, verkohlte Autoteile liegen hier und da am Straßenrand, die Büsche, Pflanzen und Bäume sind verbrannt.
Hier haben in den Nächten zuvor riesige Feuer die Nacht erhellt, sagt Alon, sein wacher Blick auf den Horizont gerichtet. Von dort kann uns die Hisbollah sehen. Er lächelt. Keine Sorge, wir sterben nicht. Noch nicht gleich. Vielleicht später. Ich habe mich an den israelischen Humor gewöhnt, ihn sogar lieben gelernt. Unser Freund Oz in Tel Aviv sagt: Wir brauchen den Humor, um zu Überleben. Und die Menschen leben tatsächlich. Dem 7. Oktober, dem Krieg und Terror zum Trotz. Ich habe selten so viel gelacht, wie hier im Norden Israels, wo kein Tag ohne Hisbollah Beschuss vergeht.
Ich schlafe angezogen, Alon lacht darüber, sagt: Ich habe das in den ersten Kriegsmonat gemacht, dann wurde mir das zu anstrengend. Auch ich beginne langsam, israelisch zu denken, heißt: sollte die Rakete mein Haus treffen, bin ich eh tot, ob angezogen, auf den Boden liegend oder mit Schutzweste. Alles wird gut.
Wir trinken Cola und essen Snickers mit dem Rücken an die Frontseite des Autos gelehnt, ich öffne die nächste Packung Zigaretten, es ist 16:30 Uhr. Schießen die heute noch?
Ich schaue im Kibbuz gen Himmel, wo ein riesiger Baum steht. Der Wind weht durch die Äste, ein grüner Papagei fliegt heraus, Gras schaukelt still, sonst nichts. Man hört das stetige Brummen der Kampfjets, dann verschwinden sie wieder. Verräterische Augenblicke, eine Illusion von Frieden, nicht die Realität.
Kurze Zeit später schrillen die Sirenen und erwischen uns mitten auf der Fahrt durch den verlassenen Ort, wir springen aus dem Auto und legen uns auf den Boden, der warme Asphalt gegen meine Wange gedrückt.
Alltag unter Terrorbeschuss.
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